Karstadt am Hermannplatz


Karstadt 1929 Architekt: Philipp Schaefer (1885-1952)
Bauweise: Stahlbeton-Skelettbau mit Muschelkalkfassade
Bauzeit: 1927-1929
Eröffnung: 21.06.1929
Höhe des Gebäudekörpers: 32 m
Höhe der Türme: 56 m, inkl. Lichtsäulen: 71 m
Fassadenlänge: 256 m
Nutzfläche: 72.000 qm auf 9 Geschossen (davon 2 unterirdisch)
größtenteils zerstört: 25.04.1945

Karstadt 2000 Architekt: Alfred Busse
Bauweise: Stahlbeton mit Muschelkalkfassade
Eröffnung: 07.05.1951
Nutzfläche: 5.000 qm

Architekt: Helmut Kriegbaum (Anbau)
Eröffnung: 27.10.1976
Nutzfläche: 21.000 qm

Architekten: Prof. Jürgen Sawade, Helmut Kriegbaum, Udo Landgraf (Aufstockung, Fassadenumgestaltung)
Eröffnung: 06.09.2000
Nutzfläche: 31.500 qm

Die Entstehung

Ausgehend von einem neuen 'Fluchtlinienplan' wurden Mitte der 20er Jahre auf der Kreuzberger Seite des Hermannplatzes die vorhandene Wohnbebauung unter dem Protest der Mieter abgerissen. Dies diente zum einen dem U-Bahnbau, aber auch dem Warenhauskonzern Karstadt. An einem zentralen Platz im Berliner Stadtgebiet, der mit zwei U-Bahn-Linien bestens erschlossen war, wurde so ein 12.500 qm großes Baugrundstück frei.

Karstadts Hausarchitekt Philipp Schaefer entwarf für diesen Platz ein monumentales Gebäude, das dem bereits in Hamburg begonnenen Karstadt-Stil folgen sollte. Von der Höhe und der Überbauung brach es weit aus dem in Berlin üblichen Rahmen heraus. Die Baugenehmigung für das von Karstadt geplante Kaufhaus, ließ sich die Stadt Berlin dann auch gut 'bezahlen'. So wurde eine Verbreiterung des Platzes um 20 m nach Westen und ein Landschulheim von Karstadt finanziert. Weiterhin erhielt die Stadt das bis heute gültige kostenlose Tunnelnutzungsrecht unter dem Grundstück. Dort befindet sich eine eingleisige Verbindungskurve von der U-Bahn-Linie 8 aus dem Kottbusser Damm zur Linie 7 in die Hasenheide.

Karstadt in Bau Baustelle am Hermannplatz. In der relativ kurzen Bauzeit von nur 15 Monaten wurde trotz Rückschlägen der Warenhausbau fertiggestellt.

Noch vor dem Baubeginn wurde vom Urbanhafen am Landwehrkanal eine 1,8 km lange Lorenbahn für den Transport von Splitt und Kies angelegt. Nach 15 Monaten war der Bau trotz eines harten Winters und eines Brandes des Gebäudeteiles an der Hasenheide fertiggestellt.

Der Gebäudekörper überragte den Hermannplatz um 32 m. Weitere 24 m ragten die zwei Türme am Hermannplatz empor. Diese wiederum wurden von jeweils einer 15 m hohen Lichtsäule gekrönt. Der Bau erinnerte mit seiner Muschelkalkfassade und seiner vertikalen Gliederung an die Hochhausarchitektur aus New York. Die vertikale Struktur wurde vor allem bei Dunkelheit durch die Lichtbänder am Gebäude und die Lichtsäulen auf den Türmen besonders deutlich.

Karstadt bei Nacht Die bei Nacht nicht sichtbare vertikale Fassadenstruktur wurde durch ein beeindruckendes Beleuchtungskonzept wiederhergestellt.

Der Bau galt seinerzeit als das modernste Kaufhaus Europas. Karstadt standen hier auf neun Etagen (davon zwei unterirdisch) 72.000 qm Nutzfläche zur Verfügung. 24 Rolltreppen verbanden die Etagen (sie fuhren jedoch damals alle aufwärts und erst eine Stunde vor Geschäftsschluß wurde die Fahrtrichtung umgekehrt). Weiterhin gab es 24 Personen-, 13 Speise- und acht Lasten-Aufzüge, wovon einer komplett beladene Lastwagen in die fünfte Etage zur Lebensmittelabteilung befördern konnte. Auch die Haustechnik war z.B. im Bereich Heizungs-, Kühlanlage und Brandschutz auf dem neuesten Stand. Der direkte Zugang vom Untergeschoß zu den beiden Bahnsteigen des U-Bahnhofes Hermannplatz war zur damaligen Zeit ebenfalls eine Novität.

Automaten in der Personalkantine Nicht nur bei der Haustechnik setzte Karstadt auf die damals neuesten Techniken. In der Personalkantine stehen hier einige Mitarbeiter an Gutscheinautomaten, die die Abwicklung des Kantinenbetriebes reibungsloser gestalten sollten.

Die ersten Jahre

Karstadt am Hermannplatz entwickelte sich schnell zu einer stadtbekannten Attraktion. Neben dem reichhaltigen Warenangebot waren es vor allem die zahlreichen Serviceangebote und Kulturveranstaltungen die Karstadt neben der klassischen Einkaufsstätte zu einem Ausflugsziel werden ließen.

Theaterkasse und Reisebüro Theaterkasse und Reisebüro im ersten Obergeschoß

So gab es eine Badeanstalt mit Wannen-, Dusch- und Massageräumen, unterschiedliche Frisiersalons für Damen, Herren und Kinder, eine Sporthalle mit Turngeräten, einen Kinderspielplatz mit Karusell und mehrere Gaststätten für die unterschiedlichen Ansprüche und Geldbeutel. Die Hauptattraktion war allerdings der 4.000 qm große Dachgarten auf dem 500 Personen Platz finden konnten. Die jeden Nachmittag spielenden Musikkapellen und der Blick aus 32 m Höhe über Kreuzberg und Neukölln hinweg sorgten für das einzigartige Ambiente.

Dachterasse Die Dachterasse diente nicht nur dem Kaffeegenuß der Einkaufenden, sondern war auch Ort von Musikveranstaltungen und entwickelte sich zu einer Touristenattraktion mit Blick über die Stadt.

Karstadt brachte aber nicht nur ein neues Einkaufserlebnis für die Kunden, sondern schaffte auch 4.000 Arbeitsplätze für die einheimische Bevölkerung. Die Arbeit bei Karstadt war trotz strenger Vorschriften und penibler Umsetzung beliebt, nicht zuletzt wegen der exzelenten Sozialleistungen. So gab es für die Regeneration in der zweistündigen Mittagspause einen Tagesraum mit Bibliothek und Billardtisch, einen Ruheraum sowie einen reservierten Bereich auf der Dachterasse mit Liegestühlen. Der Urlaub konnte im firmeneigenen Ferienheim in Schierke im Harz verbracht werden.

Konditorei Arbeitsplätze in der hauseigenen Konditorei

Die Euphorie Ende der zwanziger Jahre verflog allerdings schnell mit der sich ab 1930 abzeichnenden Weltwirtschaftskrise 1932. Der Verlust der Kaufkraft der Bevölkerung führte zum Verlust ihrer Arbeitsplätze. 1933 hatte Karstadt am Hermannplatz zwei Verkaufsetagen geschlossen und nur noch 1.000 Mitarbeiter. Viele davon waren Aushilfskräfte, die von einem auf den anderen Tag gekündigt werden konnten. Das Haus am Hermannplatz schrieb trotzdem rote Zahlen und der gesamte Konzern stand über Jahre knapp vor dem Konkurs.

Diktatur und Krieg

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 brachte für Karstadt weitere Schwierigkeiten. Diese sahen in den großen Warenhäusern den Feind des Mittelstandes (den sie umwarben). Weiterhin waren viele große Warenhäuser direkt oder indirekt über Aktien in jüdischem Besitz, was sicherlich auch zur Abneigung der Nazis gegen Kaufhäuser beitrug. Diese Abneigung ging bis zum Verkaufsverbot von nationalsozialistischen Fahnen, Abzeichen u.ä.

1933 entließ Karstadt annähernd alle jüdischen Mitarbeiter. Von Karstadt selbst wird dieses Vorgehen später mit der Zwangslage begründet einen Millionenkredit von der Reichsregierung zu benötigen, an dessen Bewilligung der Rauswurf der jüdischen Mitarbeiter gebunden war. Aber die Führungsetage scheint auch sonst schnell auf den Zug der Nationalsozialisten aufgesprungen zu sein. So berichtet eine Karstadtangestellte, daß ihre Krankmeldung von der Personalabteilung nicht akzeptiert wurde, da sie ein jüdischer Arzt ausgestellt hatte. Eine zweite Krankmeldung wurde ebenfalls nicht anerkannt, da diesmal der Vater der Arztes ehemaliger Reichstagsabgeordneter der SPD war. Ebenso wurde der Karstadt AG auf ihren Antrag hin noch 1933 von der 'Selbsthilfe Arbeitsgemeinschaft der SA' und dem 'Nationalsozialistischen Wirtschatftsbund' nach genauester Prüfung der Verhältnisse das Schild 'Deutsches Geschäft' verliehen.

Anzeige 1936 Karstadt-Anzeige von 1936

1936 schien die Ablehnung der Nationalsozialisten gegen Warenhäuser oder zumindest gegen Karstadt am Hermannplatz nicht mehr zu bestehen. Die zum nationalsozialistischen Propagandafest umfunktionierte Olypmiade fand auch hier ihren Niederschlag. Die Fassade zum Hermannplatz wurde mit einem riesigen Plakat dekoriert und im Kaufhaus fand eine Ausstellung mit originalen Pokalen, Medallien und Sportgeräten reichlichen Zuspruch.

Die Anpassung an die Diktatur bescherte Karstadt die wirtschaftliche Genesung und 1938 den zweifelhaften Titel 'Vorstufe zum nationalsozialistischen Musterbetrieb'.

Mit dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges endete jedoch auch für Karstadt wieder die Zeit des Aufschwungs. Es entstanden Versorgungsengpässe die Warenrationierungen z.B. mit Kleiderkarten zur Folge hatten und Mitarbeiter des Kaufhauses wurden für den Kriegseinsatz eingezogen. Die zweite, dritte und vierte Etage des Hauses wurden für das Angebot der wenigen Waren entbehrlich und an das Heeresbekleidungsamt vermietet.

Karstadt-Ruine Aus 72.000 m² Verkaufsfläche machten die Nationalsozialisten 55.000 m³ Trümmerschutt.

Beim Kampf um Berlin wurde das Karstadthaus erstaunlicherweise von Fliegerbomben verschont. Trotzdem wurde es kurz vor dem Kriegsende, am 25.04.1945 zerstört. Es ist bis heute nicht endgültig belegt, ob der Bau durch Sprengung oder Brandstiftung vernichtet wurde. Sicher scheint nur, daß das Gebäude (und wahrscheinlich darin lagernde Lebensmittel) nicht in die Hände der heranrückenden Roten Armee fallen sollte und es deshalb von der Waffen-SS zerstört wurde. In diesem Zusammenhang gibt es auch Berichte von Flakstellungen auf den Karstadt-Türmen. Ein kleiner Teil des Gebäudes an der Hasenheide überstand die Zerstörung und dokumentiert bis heute die Größe des damaligen Hauses. Die Rote Armee erreichte die Ruine zwei Tage nach der Zerstörung am 27.04.1945.

Nachkriegszeit bis heute

Einen Neuanfang gab es bereits Ende Juli 1945. In dem erhaltenen Gebäudeteil an der Hasenheide begann Karstadt einen Verkauf in provisorisch hergerichteten Räumen. Es gab Lebensmittel, Spielwaren, Bekleidung, Möbel, Glaswaren und eine Reparaturannahme.

Neubau 1951 Der Karstadt-Neubau von 1950/51 nach Entwurf von Alfred Busse kurz nach der Eröffnung. Die Fassade des erhaltenen Altbauteils war noch deutlich von den Kriegsfolgen gezeichnet.

1950 begann der Wiederaufbau. Der Architekt Alfred Busse entwarf einen viergeschossigen Bau, der an den erhaltenen Gebäudeteil anschloß und bis 1951 an der Ecke Hasenheide / Hermannplatz errichtet wurde. Am 07.05.1951 wurde der Bau eröffnet. Karstadt verfügte am Hermannplatz nun wieder über 5.000 qm Verkaufsfläche und beschäftigte 450 Mitarbeiter.

Anbau 1976 1976 wird die Verkaufsfläche mit einem Anbau am Hermannplatz deutlich vergrößert. Auf dem Anbau wird ein Parkdeck errichtet. (Foto: Karstadt, 1987)

Der weitere Ausbau folgte schrittweise. 1955 wurde eine Schaufensterfront am Hermannplatz und der Urbanstraße errichtet. Diese Schaufensterfront umschloß nun einen Hof der als Parkplatz Stellplätze für 50 Pkw bot. 1959 wurde im Untergeschoß wieder eine Lebensmittelabteilung eröffnet. In den 60er Jahren wurde der verglaste auskragende Teil der Fassade durch Betonplatten verkleidet. Die Fassade bekam so einen abweisenden, klotzigen Charakter. 1976 wurde das Gebäude erweitert. Die Verkaufsräume im Unter-, Erd- und ersten Geschoß wurden auf die Größe des ehemaligen Gebäudegrundrisses ausgedehnt. Darüber wurden Parkdecks angelegt. Die Verkaufsfläche stieg auf 21.000 qm an und die bisher geschlossenen Zugänge vom U-Bahnhof aus wurden wiedereröffnet.

Umgestaltung 2000 Zwischen 1998 und 2000 erfolgen zahlreiche Umbauten und Erweiterungen des Karstadtgebäudes. Erstmals seit dem Krieg bietet sich so am Hermannplatz ein optisch ansprechendes Gesamtbild. (Foto: 15.09.2002)


Weitere Vergößerungsbestrebungen Anfang der 90er Jahre verzögerten sich durch die Wiedervereinigung und die Übernahme des Hertie-Konzerns. 1998 begannen dann wieder die Bauarbeiten. Es wurde ein neues Parkhaus mit rund 650 Stellplätzen errichtet. Die 1976 errichteten Parkdecks wurden wieder abgerissen und die Verkaufsfläche im zweiten und dritten Obergeschoß wurde entsprechend der darunter liegenden Geschosse vergrößert. Die Verkaufsfläche wuchs auf 31.500 qm und auch die Zahl der Angestellten stieg weiter - auf 850. Die Fassade wurde komplett überarbeitet, bekam ein einheitliches Erscheinungsbild und verlor glücklicherweise den Betonklotzcharakter aus den 60ern wieder. Auch eine Dachterasse wurde wieder angelegt und seit der Eröffnung am 06.09.2000 hat sich Karstadt wieder verstärkt dem kulturellen Angebot zugewendet.

Literatur

Sand im Getriebe - Neuköllner Geschichte(n), Hrsg.: Neuköllner Kulturverein e.V., Edition Hentrich Berlin, 1990

Lothar Uebel: Karstadt am Hermannplatz - Ein gutes Stück Berlin, Hrsg.: Karstadt Warenhaus AG, 2000

Rudolf Lenz: Karstadt - ein deutscher Warenhauskonzern 1920 - 1950, Deutsche Verlags-Anstalt, 1995



September 2002
J. Axel Mauruszat


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